Der aktuelle Hype um die psychoaktive Drode Warum Regierungen LSD legalisieren werden

Gesellschaft

Vor fünf Jahrzehnten stellte die Generation der Hippies die Welt auf den Kopf. Im Unterschied zu Amphetaminen, von denen Pervitin bereits von den Nazis als sogenannte „Panzerschokolade“ eingesetzt wurde, eigneten sich LSD und andere Psychedelika weder für das Militär noch zur Steigerung der Arbeitsleistung.

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LSD-Strukturformel aus Strukturformel-Builder. Foto: Alphametrobattle (CC-BY-SA 4.0 cropped)

28. August 2023
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Stattdessen machten hunderttausende Menschen durch den zunächst kaum regulierten Konsum psychoaktiver Substanzen bewusstseinserweiternde Erfahrungen, welche sie in ihrem Drang bestärkten, eine Gegenkultur aufzubauen.

Sicherlich sollte man die Rolle der Drogen dabei nicht als auslösenden oder entscheidenden Faktor verstehen. Meine Alltagserfahrung zeigt mir, dass sich Personen durch Drogenkonsum keineswegs sofort beginnen, sich für die Veränderung der Gesellschaft einzusetzen. Mindestens ebenso stark ist die Tendenz zur Flucht in verschiedene Formen des Rausches, ob durch Alkohol, Shopping, den Besuch von Fitnessstudios oder Religionen. Zugleich kann nicht geleugnet werden, dass Drogenerfahrungen ein essentieller Bestandteil der Gegenkultur waren – allein, weil der Rausch ein grundlegender Aspekt jeglicher Kultur ist.

Während allen voran die US-Regierung unter Richard Nixon einen regelrechten Feldzug gegen psychoaktive Substanzen begonnen hatte und ein restriktive Drogenpolitik verfolgte, welche nicht zuletzt die Grundlage für die repressive Unterdrückung von schwarzen und armen Menschen schuf, bahnte sich im Silicon Valley das Wunder der Erfindung der Computertechnologie und des Internets an. Erst seit 1989 wurde es massenhaft verfügbar und veränderte das Zusammenleben grundlegend. Hervorragenden Mathematiker*innen, Programmierer*innen, Techniker*innen und Philosoph*innen trugen dazu bei, eine Technologie zu erschaffen, welche die gesellschaftliche Entwicklung – und damit auch den Ressourcenverbrauch – massiv beschleunigte.

Zumindest einige von ihnen halfen den dafür erforderlichen komplexen und kreativen Denkleistungen mit LSD und Magic Mushrooms auf die Sprünge. Trotz der restriktiven Verbotspolitik waren damit im bewusstseinserweiternden Rausch einige Anhänger*innen der Gegenkultur mit progressiven Ultrakapitalist*innen ein Bündnis eingegangen und erschufen bis dahin unbekannte Unternehmensstile in der Informationstechnologie.

Der aktuelle Hype um LSD wird einem gesetzlichen Kommafehler zugeschrieben, welcher bestimmte Derivate der Substanz als „Pro-Drugs“ halb-legal verkaufbar macht [Vice-Reportage: Der Hype um legales LSD in Deutschland]. Tatsächlich forschen Institute in der Schweiz schon seit geraumer Zeit zu den Wirkungen, der Droge. Sie kommen zu erstaunlich positiven Befunden, was die geringe Gefährlichkeit (keinerlei körperliche Schädigung, nachhaltig wirksame Selbsterfahrungen) bei richtiger Anwendung (sichere Umgebung, therapeutische oder anderweitig professionelle Begleitung, angemessene Vorbereitung und Integration der Erfahrung in den Alltag) angeht.

Eine der damit verbundenen Schlüsselfragen liegt darin, ob die – entsprechend eingebettete und angeleitete – Erfahrung mit psychoaktiven Substanzen Depressionen lindern kann. Die Antwort scheint den Berichten seriöser Wissenschaftler*innen und Therapeut*innen vielen Fällen ein klares Ja zu sein. (So auch eine erste Studie in der BRD [Art-Doku]) – Dabei gilt es allerdings mit nüchternem Blick auf die Dinge ebenso eindeutig festzuhalten, dass Bewusstseinserweiterungen Subjekte nur entsprechend ihrer spezifischen Prägungen bei Selbstveränderungen unterstützen können. Auch nach LSD-Trips bleiben Faschisten Faschisten und Kapitalisten Kapitalisten – auch wenn erstere noch mehr schwurbeln und letztere von heilender Selbstoptimierung faseln werden.

Die Gefahr der Entstehung einer ernstzunehmenden antikapitalistischen Gegenkultur, in welcher Menschen möglicherweise sogar die Motivation schöpfen, sich für die soziale Revolutionierung der längst überlebten Gesellschaftsform einzusetzen und die Kreativität entwickeln, konkrete Utopien vorwegzunehmen, scheint also denkbar gering zu sein. Depressionen und ihre Folgen (Arbeitsausfälle, Vandalismus, gesundheitliche Probleme und damit Kosten für das Gesundheitssystem, häusliche Gewalt etc.) müssen für Volkswirtschaften dagegen als schmerzhaftes Minus verbucht werden. Hierbei ist auch die eklatante Zunahme von Depressionen aufgrund dem Aufbrechen transgenerationaler Traumata, gesteigertem Leistungsdruck und unsicheren Zukunftsaussichten bei gleichzeitigem Rückbau sozialer Sicherungssysteme zu beachten.

Demgegenüber zu stellen ist aus Sicht der Herrschaftsordnung die traditionelle Sedierung der Bevölkerung durch verbreiteten Alkohol-, Medikamenten- und Medienkonsum. Andererseits ist auch politisch und ökonomisch herrschenden Klassen klar, dass sich die bestehende Gesellschaftsform unweigerlich eine grundlegende Transformation befindet. Um diese kapitalistischen und staatlichen Anliegen entsprechend zu gestalten, bedarf es einer Aktivierung der Bevölkerung.

Mit anderen Worten: In der bestehenden Gesellschaftsform hat die Entfremdung der Menschen ein zuvor nie gekanntes Ausmass angenommen. Daran Schuld sind die Form der Lohnarbeit, die Reduzierung des Menschen auf seine Verwertbarkeit, staatliche Einhegungsstrategien, die technokratische Abstraktheit und Entdemokratisierung politischer Prozesse, die Form der medialen und kulturellen Erzeugnisse. Im gleichen Zuge hat der objektive Bedarf an gesellschaftlicher Veränderung durch Kriege, Klimawandel, Klassenspaltung etc. massiv und sichtbar zugenommen.

Um die Herrschaftsordnung aufrechtzuerhalten, wird Entfremdung, Depressionen und Zukunftsängste zu lindern, deswegen das Anliegen zukünftiger Regierungen werden müssen. Wo vielen klar wird, dass es ihren Kindern (ohne soziale Revolution) nicht besser gehen wird und auch der angestaubte Glaube an weiteres Wirtschaftstumswachstum zunehmend versiegt, befinden sich Regierungen in der Position Hoffnung produzieren zu lassen.

Die Voraussetzung dafür sind individualisierte Erfahrungen der Versöhnung, Selbstrelativierung, Gelassenheit, Freude, Selbsterkenntnis. Gegenwärtig stehen weder ausreichende Ressourcen noch die erforderlichen Kenntnisse und Techniken zur Verfügung, um eine halbe Bevölkerung durch den Erneuerungsprozess der Gesellschaftsform seelisch hindurch zu bringen. Der Einsatz psychoaktiver Drogen wird diesen Prozess unterstützen und voranbringen – ob im professionellen Kontext oder als Selbstmedikamentierung. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass Regierungen LSD legalisieren werden, sobald sie die entsprechenden Regularien gefunden haben, unter denen es Staat und Kapitalismus nicht gefährlich werden kann.

Jonathan Eibisch